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Zwischen Tradition, Ehrerbietung und Abgrenzung. Was Widmungskompositionen über die Bedeutung Joseph Böhms und Heinrich Wilhelm Ernsts für Joseph Joachims Selbstverständnis als Virtuose und Interpret und seine Identität als Komponist erzählen

Abstract

Zwei Persönlichkeiten, die frühen und nachhaltigen Einfluss auf Joachims Selbstbild als Geiger bzw. Virtuose, aber auch Komponist und Lehrer, ausgeübt haben, waren Joseph Böhm und Heinrich Wilhelm Ernst – ersterer als Lehrer und Mentor in Wien, letzterer als Fürsprecher und väterlicher Freund. Gleichzeitig sind es auch diese beiden und ihre geigerische, kompositorische und im Falle Böhms didaktische Ausrichtung, an denen sich bereits früh in Joachims Leben Identitätsfragen offenbaren und verhandeln lassen. Als Schüler Böhms war Joachim – ebenso wie Ernst – eigentlich in einer Traditionslinie verwurzelt, die auf der Lehre am Conservatoire de Paris basierte. Gleichwohl lassen sich in Böhm und Ernst erste Projektionsflächen der von Joachim als Dichotomien wahrgenommenen Kategorien ‚Kunstmusik‘ und ‚Virtuosität‘ erkennen, die ihm auf seiner Suche nach seinem Platz zwischen diesen Polen eine frühe innerliche wie äußerliche Positionierung abverlangte; gerade eine persönliche Verbundenheit scheint hier lebenslang anhaltende Spannungsfelder erst generiert zu haben. Welche Quellen offenbaren dieses ‚Beziehungsdreieck‘ Böhm – Ernst – Joachim und geben Auskunft über Joachims frühe Identitätssuche, seinen Identitätswandel und seine Selbstinszenierungen? Wo äußert sich in wortsprachlichen, aber auch in musikalischen Quellen sowie in der speziellen Verwendung einzelner Kompositionen die Fortführung von Tradition, wo Verehrung, wo aber auch Abgrenzung? Für die Beantwortung dieser Fragen sollen vor allem musikalische Quellen, die in Noten- oder Paratext als Beziehungsdokumente zu lesen sind, betrachtet werden. Der Fokus dieser „Musik als Beziehungskunst“ (Borchard 2018, S. 68) soll dabei auf den gegenseitigen Widmungskomposition der drei Geiger liegen, aus denen in unterschiedlicher Form Rückschlüsse auf die jeweiligen Selbstbilder und - inszenierungen als Virtuosen, Interpreten, Komponisten und Pädagogen – auch in Abgrenzung und Spannungsverhältnis zum jeweils anderen – gezogen werden können (vgl. Hammes 2015). Drei Kompositionen, die für die hier gestellte Frage besonderer Aufmerksamkeit bedürfen, sind die Otello-Fantasie op. 11, die Ernst Böhm widmete und die Böhm und in der Folge auch Joachim in ihrem Unterricht einsetzten, sowie die dritte von Ernsts 6 polyphonen Studien (À Joachim), außerdem Joachims op. 1, das er zumindest handschriftlich seinem Lehrer Böhm widmete.

 

 

Kurzvita

 

Christine Hoppe studierte Germanistik und Musikwissenschaft an der Universität Rostock und der Sorbonne IV Paris. 2003 bis 2004 war sie wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Musikwissenschaft der Universität Rostock angestellt. Seit 2008 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Musikwissenschaft der Universität Göttingen. Dort promovierte sie 2012 mit dem Titel Der Schatten Paganinis. Virtuosität in Kompositionen Heinrich Wilhelm Ernsts (Betreuer: Prof. Dr. A. Waczkat, Prof. Dr. H. v. Loesch). Die Publikation wurde von der Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften sowie der VG Wort gefördert und 2014 mit dem Preis des Stiftungsrates der Georg-August-Universität Göttingen ausgezeichnet. Christine Hoppe ist Mitherausgeberin der Bände Begegnung – Vermittlung – Innovation (2015) und Exploring Virtuosities: Heinrich Wilhelm Ernst, Nineteenth-Century Musical Practices and Beyond (2018). Sie konzipierte und organisierte die internationalen Tagung Der Lange Schatten Paganinis (2015) sowie Musik im Körper – Körper in der Musik (2019). Ihre Interessenschwerpunkte bilden die Erforschung musikalischer Virtuosität sowie musikalischer Alltags- und Sozialgeschichte. Göttingen, den 13.09.2019

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